Bettina Pelz: Interview mit Camila Mejia und Erik Wälz.
Veröffentlicht am 13. September 2022
Du hast dich mit dem Photosynthese-Prozess als einem des essenziell bedeutenden Prozesse für das Leben auf der Erde beschäftigt. Bei der Photosynthese werden von Pflanzen, Algen und Bakterien unter Verwendung von Sonnenenergie aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) organische Substanzen gebildet. So bilden Pflanzen ihre Biomasse, die anderen Lebewesen als Nahrung dient, und es entsteht Sauerstoff, der die Lebensgrundlage von Menschen und Tieren ist. Wie lässt sich ein solcher Prozess künstlerisch betrachten?
In meinem Fall haben mich die Strukturen inspiriert, die außerhalb der Reichweite unseres bloßen Auges liegen. Eine Welt, die sich ständig bewegt und verändert, deren Schönheit wir aber nur durch ein spezielles Mikroskop wahrnehmen können. Ich habe mich dem Begriff der Photosynthese genähert, indem ich Epidermisstrukturen verschiedenster Pflanzen analysiert und künstlerisch adaptiert habe. Ich fühlte mich dazu hingezogen, neue Farben, Formen und Texturen zu entdecken und war neugierig auf die Bewegungen und Lichtübergänge einer Welt, die man nur unter diesem Betrachtungswinkel erfahren kann. Ich habe Bilder geschaffen, die die Besucher neugierig machen und bei ihnen ein tieferes Bewusstsein für die Existenz und Signifikanz dieses so unscheinbar wirkenden Mikrokosmos schaffen sollen.
Wie hast du dazu die Serie „Restless Tiles / Bewegte Kacheln“ entwickelt? Was war dir wichtig in dem Entwicklungsprozess?
Im Rahmen des INTERFERENCE YOUNG MASTERS Program in Tunis fand ich die Verwendung traditioneller Fliesen zur Verzierung der Fassaden ihrer Gebäude faszinierend. Ihre Mosaike und Muster weisen eine Fülle von geometrischen, verschlungenen und floralen Formen auf. Ihre Ursprünge stammen aus verschiedenen Kulturen, einschließlich andalusischer Motive, die später nach Mittel- und Südamerika gebracht wurden und somit Teil meiner eigenen Kultur sind. Um diese Serie zu entwickeln, habe ich Mikroskopie Aufnahmen digitalisiert und in Kacheln umgewandelt, um diese später auf die gesamte Fassade des Stadtmuseums Palais Kheireddine zu projizieren. Der wichtigste Teil des Entwicklungsprozesses war die Verbindung zwischen diesem alten Handwerk und dem Einsatz moderner Technologie, die mich dazu inspirierte, ein digitales Wandbild mit beweglichen Kacheln als Präsentationsform für meine Arbeit zu schaffen.
Gegenüber den ersten Varianten der “Restless Tiles“ hat sich die Farbigkeit sehr stark verändert. Was hat dich dazu motiviert?
Im Vergleich zu den früheren Aufnahmen mit dem Mikroskop gab es in der Tat einige Änderungen in Bezug auf die Dynamik und die Variationen der Farbverschiebungen. Bei der letzten Version brachte die Zusammenarbeit mit dem New-Media-Artist Erik Wälz eine weitere Dimension in die Komposition im Sinne von Fülle und Bedeutung für den Betrachter.
Wie hast sich die Zusammenarbeit mit Erik entwickelt? Wie hat das deine Arbeit verändert?
Während meines Praktikums bei Xenorama, einem Studio für audiovisuelle Installationen in Bremen, lernte ich Erik kennen. Aufgrund gemeinsamer künstlerischer Interessen haben wir über eine Zusammenarbeit verständigt. In der Testphase von „Restless Tiles“ kam die Idee auf, die Installation um eine spezielle Klanglandschaft zu erweitern. Ich wandte mich an ihn und zusammen gelang es uns, ein Stück zu komponieren, dass sich sowohl klanglich als auch inhaltlich in meine visuelle Komposition integriert. Für die Klangproduktion nahm er unter anderem Aufnahmen von Vögeln und Field Records von natürlichen Umgebungen auf, um eine gewisse Brücke zwischen den beiden Welten der Medienkunst und der Natur zu schlagen.
Ihr zeigt das Ergebnis als eine großformatige Projektion, warum ist das das geeignete künstlerische Medium?
Ich finde, dass die Verwendung von Licht und Projektion zur Bespielung einer architektonischen Fassade ein neues Licht auf das Objekt, den Ort und die Geschichte dahinter wirft. Projection Mappings können einen gewissen Bruch in der Normativität unseres Alltagslebens schaffen. Außerdem wird Kunst und deren Rezeption allen Personengruppen und communities zugänglich gemacht, ganz unabhängig von sozioökonomischen Hintergründen. Es bricht mit der Vorstellung von scheinbar verborgenen, eingesperrten Bewegtbildern an Orten wie einem Kino, einer Galerie oder einem Museum und schafft stattdessen die Möglichkeit, einen offenen Raum zurückzuerobern und ihn auf neue Weise zu beleuchten – das wohl dankbarste Geschenk an dieser Art von Kunst.
Im Rahmen deiner Bachelor-Arbeit an der Hochschule für Künste Bremen in diesem Jahr hast du einen eigenen Schwerpunkt entwickelt. In deinen Animationen konzentrierst du dich auf die Veränderungszustände, die sich mit Licht, Bewegung oder Farbe generieren lassen. Wie hat sich das entwickelt?
Bei meinen Recherchen habe ich mich auf die recht abstrakten Animationen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und der fünfziger/Sechzigerjahre konzentriert, die mich zu zwei Stop-Motion-Filmen inspiriert haben, derer Farben, Texturen, Lichtsetzungen und Bewegungen auf einer Reihe von selbst gesetzten Parametern, künstlerischer Intuition und meiner Beziehung zum Material basieren.
Durch die Verwendung verschiedener Ebenen konnte ich Tiefen- und Farbvariationen sowie eine übergangslose Variation der Schärfe erzeugen, um damit Kontraste zu schaffen und die Textur der Bilder zu verändern. Diese Experimente basierten auf dem zweiten Teil meines Projekts, in dem ich über das Potenzial der Animation im Kontext der bildenden Kunst nachdachte. Ich habe mich von vielen Künstlern inspirieren lassen, die Objekte, Oberflächen und verschiedene Räume als Leinwand für die Projektion ihrer Kunstwerke nutzen. Dies hat mir die Augen für die grenzenlosen Möglichkeiten geöffnet, die eine erweiterte Animation und damit Dimension bietet. Ich wählte somit Licht und Projektion als Medium, um meine finale Arbeit zu präsentieren.
Im nächsten Schritt habe ich digitale Kaleidoskope aus meinen zwei Stop-Motion Animationen entwickelt. Kaleidoskope sind optische Spielzeuge, die es dem Betrachtenden ermöglichen, Objekte durch die Reflexion ihres Spiegels in einer anderen Form wahrzunehmen, um komplexe geometrische Bilder zu schaffen. Die Erschaffung dieser optischen Objekte war die Grundlage der Stop-Motion Animation, die sowohl als eine Form der Unterhaltung als auch aus wissenschaftlicher Neugierde entstand, um die Mechanismen des menschlichen Körpers zu verstehen und ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, wie der menschliche Geist Bewegungen wahrnimmt.
Der Brückenschlag zwischen analog und digital ist etwas, das mich inspiriert und mir erlaubt, weiterhin mit greifbaren Materialien zu arbeiten, sie aber gleichzeitig neu zu formen und digital zu transformieren. Mein Ziel ist es, Wege zu finden, diese beiden Bereiche immer wieder miteinander zu verbinden. Für die Bühne meiner Bachelor-Ausstellung habe ich externe Elemente verwendet, um das Licht des Projektors in andere Bereiche des Raums zu brechen, sowie eine Nebelmaschine, um das Licht und die Farben in eine dritte Dimension zu bringen.
Ich fand sehr interessant, wie du aus analogen Setting wie z. B. Lichtreflexion auf verschiedenen bewegten Materialien, digitale Animationen entwickelt hast. Der Transfer analoger Bewegungs- oder Transformationsmuster in digitale Bildgebung hat einen großen visuellen Reiz, welche Probleme hattest du zu bewältigen?
Der Prozess war eine Reise, bei der ich mit den verschiedensten Möglichkeiten experimentiert habe, um genau die Effekte zu erzielen, die ich mir für die Abstraktion der Objekte wünsche. Die meisten Probleme, die ich überwinden musste, waren wohl eher technischer Natur und betrafen die Grenzen der Möglichkeiten meines Equipments.
Als Kuratorin finde ich es interessant, deine Arbeit zu den GOLDSTÜCKEN einzuladen, da sie sich mit einem Prozess beschäftigt, der von zentraler ökologischer Bedeutung für das Stadtklima ist, jedoch im Alltag dem menschlichen Auge verborgen bleibt. Ich betrachte Photosynthese als einen Teil des urbanen Stoffwechsels, der zukunftsentscheidend ist. Durch die ästhetische Aufschlüsselung eines ökologischen Prozesses und die experimentelle Herangehensweise im Rahmen digitaler Bildgebung ist es aus meiner Sicht ein guter Beitrag zu „Texturen der Stadt“, dem diesjährigen Thema der GOLDSTÜCKE. Wie stehst du diesem Blick auf deine Arbeit?
Die Photosynthese in den Kontext des urbanen Raums gesetzt, zeigt die großen Zusammenhänge und Parallelen zwischen den natürlich vorkommenden und den durch im Laufe der Entwicklung des Anthropozän entstandenen Strukturen auf. Unsere Arbeit soll einen Denkanstoß geben, inwieweit unser urbanes Handeln mit der Natur verknüpft ist und vor allem sein könnte.
Das Biotop „Stadt“ darf nicht bei Parkanlagen und Mauerblümchen enden. Wir müssen uns nachhaltig mit Positionen der modernen Stadtentwicklung wie biomimetische Architekturen auseinandersetzen und eine zukunftsorientierte urbane Umwelt schaffen, in der wir statt nur neben, mit und von der Natur und ihren Prozessen leben und lernen.
Welche Rolle spielt das Publikum für euer Projekt? Was wünscht ihr euch von den Besucher_innen?
Wir möchten Neugierde und Bewusstsein für die Bedeutung des Photosynthese-Prozesses im Zusammenhang mit der urbanen Entwicklung wecken. Ich möchte einen näheren Blick auf die Struktur von Pflanzen zeigen und den Betrachter dazu inspirieren, die Wunder seiner Umgebung zu erforschen.
Welche der anderen künstlerischen Positionen der GOLDSTÜCKE empfiehlst du den Besucher_innen und warum?
Wir finden viele Arbeiten anderer Künstler, die an den GOLDSTÜCKE teilnehmen, inspirierend, insbesondere diejenigen, die sowohl mit Neuen Medien als auch mit analogen Techniken experimentieren, sowie diejenigen, die komplette Strukturen entwickeln, um Licht und Raum auf eine neue Art zu erleben. Wir sind sehr gespannt darauf, sie zu treffen und uns mit ihnen über ihre Ideen und ihre Herangehensweise an das Thema des Festivals auszutauschen.
BEITRAGSBILD
INTERFERENCE YOUNG MASTERS Tunis 2022. Photo: Karim Ben Halima