Gamze Can: Interview mit Hartung Trenz
Veröffentlicht am 13. September 2022
Ihr setzt euch nun seit fast 25 Jahren intensiv mit Sprache und Bild auseinander. Eure Projektionen bestehen ausschließlich aus Texten, die beim Betrachten nicht als Wörter mit inhaltlichem Sinn gelesen werden. Stattdessen verändert ihr die Sprache zu bildhaften Zeichen, die durch Wahrnehmung interpretiert werden können.
Zuerst vorweg, natürlich geht es uns auch um die Lesbarkeit der Wörter und die Korrespondenz ihrer Inhalte mit den Vorgaben von Raum, Zeit und Anlass.
Auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht hängen Sprache und Bild eng miteinander zusammen. Wie auch die Theorie nach Ferdinand de Sassure besagt, dass erst die Kombination von Zeichen und Bild die Sprache bilden, wird das abhängige Verhältnis ersichtlich.
Was ist eure Motivation, Sprache als bildhafte Zeichen künstlerisch im Raum zu verarbeiten?
Das Lesen der projizierten Texte verlangt von den Besuchern in einem aktiven Prozess Aufwand und Mühe. Positionen müssen verändert und neue Perspektiven gesucht werden. Manche Wörter verschwinden in der Vegetation oder in den Fluchten der Architektur, aber das angebotene Textmaterial bietet dem Betrachter immer die Möglichkeit, im Rahmen der vorhandenen Kontexte seine eigene Geschichte und Geschichten zu entwickeln und herauszulesen.
LUNA Leeuwarden 2021. Video: Hartung Trenz
Ich habe gesehen, dass ihr oft mit Architektur, Fassaden oder Gärten arbeitet. Was reizt euch an der künstlerischen Arbeit am Goldbergpark?
Ein Park stellt bereits von Haus aus für jede Stadt einen unglaublichen Wert, ein „Goldstück“ dar. Er ist ein generations- und gesellschaftliche Schichten übergreifender Kommunikationsort. Tagsüber wie nachts zeigt er öffentliches Leben wie unter einem Brennglas. Unglaublich viele Sprachcodes und Rezeptionsmöglichkeiten treffen hier aufeinander. Das und die Aufgabe, über eine große Fläche hinweg dramaturgisch eine Arbeit zu entwickeln, reizt uns an dieser Aufgabe.
Ihr arbeitet regelmäßig mit der Kuratorin der GOLDSTÜCKE, Bettina Pelz, zusammen. Wie würdet ihr ihre Arbeitsweise beschreiben?
Als produktiv, herausfordernd, spannend, aber auch unkompliziert. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Da wir größtenteils ortsspezifisch arbeiten, sind wir natürlich angewiesen auf Menschen, die uns spannende Orte und Aufgaben zutrauen und mit uns arbeiten wollen. Das weiß Bettina Pelz und lässt sich da durchaus immer wieder etwas Besonderes einfallen.
ROTATIONEN Saarbrücken 2018. Video: Hartung Trenz
Die diesjährigen Goldstücke befassen sich mit dem Thema “Texturen der Stadt”. Wir stellen uns die Frage, wie sich die Lesbarbeiten einer Stadt entwickeln? Wie sich Formen und Formate entwickeln, die nicht als Konzepte hinterlegt sind, sondern die sich aus Nutzungen und Nicht-Nutzungen ergeben? Wie sich Konventionen und Kodierungen aus dem Alltag in Stadtansichten spiegeln? Wie seht ihr eure Kunstintervention im Rahmen dieser Fragestellung?
Ein Park ist wahrscheinlich das geeignetste Laboratorium für diese Fragestellungen. Unsere Intervention sehen wir eher als unterstützend und entwickelnd. Ein intellektueller Spielplatz für die Auseinandersetzung mit diesen „Texturen einer Stadt“.
Wie spielen künstlerische Praxis und urbane Räume für euch zusammen? Der Titel eurer künstlerischen Intervention ist “Goldbergvariationen”. Wird es Musik von Johann Sebastian Bach geben?
Nein, es wird keine Musik geben. Wir leihen uns den Titel, aber haben unsere eigenen Inhalte. Und: Musik ist auch nicht notwendig. Wir erleben oft die Besonderheit, dass man in einer Lichtprojektion sich auch immer der akustischen Gegebenheiten bewusst wird, in diesem Fall der „Sound der Stadt Gelsenkirchen-Buer“: Mit den umliegenden Straßen, dem Busbahnhof und der Straßenbahn, mit dem Park und der angrenzenden Allee ein akustisch sehr komplexes Soundscape. When Besucher in der Projektion stehen, schaffen sie intuitiv Verbindungen zwischen dem, was sie sehen und was sie hören. So schafft künstlerische Praxis die Möglichkeit, urbane Räume zu reflektieren und zu hinterfragen.
WATER LIGHT FESTIVAL Brixen 2022. Video: Hartung Trenz
In welcher Bedeutung stehen der Text oder die Wörter, die ihr verwendet, mit dem Goldbergpark?
Wir arbeiten mit drei verschiedenen Textgruppen. Auf den horizontalen Projektionen im Stadtpark finden sich in Gruppen aufgeteilte Substantive bzw. Namen von Songs, Filmtitel, Redewendungen, Orten, Berufen, Pflanzen, Tieren usw. in denen entweder der Begriff „Gold“ vorkommt oder die konkret oder assoziativ etwas mit Gold zu tun haben. Dann haben wir eine Gruppe von Adjektiven, die in der Literatur verwendet wurden und werden, um das Wesen von Gold zu beschreiben. Dazwischen finden sich immer wieder Verben, die beschreiben, was man in einem Park tun kann, im Prinzip also so ziemlich alle menschlichen Tätigkeiten. In der Projektion gehen die Texte ineinander über, es entstehen Verbindungen und das Seh- und Denkspiel kann beginnen.
In den vergangenen Wochen trafen wir uns für einen Test im Goldbergpark. Bereits dann gab es viele Passant_innen, die sehr interessiert an der Installation waren. Zudem gab es auch Jugendliche, die sich in die Projektion gestellt und Selfies gemacht haben. Ist das Teil eurer Intention?
Natürlich, selbst vor einem Gemälde stehend, wird man doch Teil einer künstlerischen Arbeit. Lesen bedeutet ja in einem übertragenen Sinne auch etwas abnehmen, aufnehmen und Schlechtes dabei aussondern („Erbsen lesen“). Dabei lernt man natürlich immer etwas über das Material und sich selbst.
Was erhofft ihr euch von den Goldstücken und den Besucher_innen? Welche Rolle spielt das Publikum für euer Projekt? Was wünscht ihr euch von den Besucher_innen?
Unsere Arbeit ist immer auch ein Angebot und die Möglichkeit, Orte, die man aus seinem täglichen Umfeld und Leben her kennt, neu zu erfahren und wahrzunehmen.
Jede gestalterische Arbeit, insbesondere das Arbeiten mit Schrift, zielt ja auf Kommunikation und Dialog. Ohne Publikum und ohne die Arbeit des Publikums mit dem Text und der Projektion funktionieren unsere Arbeiten überhaupt nicht.
Welche der anderen künstlerischen Positionen der GOLDSTÜCKE empfiehlt ihr den Besucher_innen und warum?
Grundsätzlich liegt es uns fern, einzelne Arbeiten besonders zu empfehlen, zumal wir manche der teilnehmenden Künstler und ihre Arbeitsweise noch gar nicht kennen, andere jedoch kennen und schätzen wir sehr. Alle haben unterschiedliche Ausdrucksweisen und nutzen Licht auf vielfältigste Weise. Es liegt am Besucher, sich mit den einzelnen Arbeiten auseinanderzusetzen und Erfahrungen zu sammeln.
Ich habe gesehen, dass ihr auch im Oktober ein neues Projekt im Schlossbergmuseum Graz habt. Könnt ihr ein wenig von diesem Projekt erzählen? Inwieweit wird es sich von euren bisherigen Installationen unterscheiden?
Im Prinzip unterscheiden sich natürlich alle unsere Arbeiten voneinander. Jeder Ort ist an sich einzigartig und gerade das Museum auf der Spitze des Schlossberges in Graz ist ein sehr besonderer Ort, eine Schnittstelle verschiedenster Sphären. Ein Unterschied zu der Arbeit im Goldbergpark wird darin bestehen, dass es in Graz noch mehr um das Lesen und die Mustererkennung von Schrift und Schriftzeichen gehen wird. Um den Kosmos von Sprache und Schrift und um die Fähigkeit, mit den 26 Zeichen unseres Alphabets, Welt zu beschreiben.
WEITERLESEN
Bettina Pelz: Hartung Trenz: Responsive Typography (2015)
BEITRAGSBILD
Hartung Trenz. ROSEGARDEN Archen 2020. Foto Hartung Trenz.