mit Lars Meeß-Olsohn

Bettina Pelz: Interview mit Lars Meeß-Olsohn.
Veröffentlicht am 16.9.2022

Du bist Architekt mit dem Schwerpunkt Textile Architektur. Wie beschreibst du Textile Architektur? Und was macht es für dich besonders interessant?

Als Gestalter faszinieren mich seit jeher geometrische Strukturen, die nicht willkürlich gewählt werden, sondern einer inneren Systematik und Ordnung folgen. Textile Architektur ist durch solche (Trag-)Strukturen, Gewebetexturen, Zuschnittslinien geprägt und der Kräfteverlauf ist immer nachvollziehbar.

Wie hast du das Thema für dich entdeckt?

Gegen Ende des Studiums hatte ich den Leicht- und Membranbau für mich entdeckt und mich u. a. mit dem Thema Tensegrity, dem Bau von Leuchten und objekthaften räumlichen Tragstrukturen beschäftigt. Die Auseinandersetzung und das Treffen mit Kenneth Snelson war für mich prägend.

Kenneth Snelson ist auch für mich ein interessanter Künstler, sein künstlerischer Fokus waren physikalische Wirkkräfte, vor allem Druck- und Zugspannungen, als skulpturales Material. Metallröhren und Drähte waren seine Werkstoffe, um Gewicht-, Kraft- und Spannungsverhältnisse sichtbar zu machen. Statik, Dynamik und strukturale Integrität sind Parameter, die mit ihm in meiner Mindmap verbunden sind.

In deinen Arbeiten sehen wir ebenso das Zusammenspiel von steifen Bauteilen wie Stäben oder Rohren, Seilen oder Drähten zur Erzeugung von Spannungen und biegeweichen Bauteilen wie Membranen, Gewebe und Folien. Was macht das für dich interessant?

Der „fünfte Baustoff“ in Form von technischen Geweben und Folien aus Kunststoffen ist sehr vielfältig, in der Architektur wird er zumeist als vorgespannte Konstruktion verwendet. Durch diese Vorspannung ist es möglich, Verformungen und Überlastungen durch Wind und Schnee entgegenzuwirken. Damit ist das eher konstruktive Erscheinungsbild hauptsächlich durch die von Druck und Zug geprägten Bestandteile gekennzeichnet.

Darüber hinaus unterscheidet sich die sogenannte „Formfindung“ – das aktive Wechselspiel zwischen räumlichen Kräfteverhältnissen und der geometrischen Entsprechung – bereits in der Entwurfsphase von der anderen Formgebung von z.B. Stein auf Stein.

Welche Rolle spielt temporäre Architektur im Verhältnis zu permanenter Architektur im Stadtraum? Welches Potential siehst du hier für die Zukunft?

Bei temporären Lösungen können mutigere Gestaltungsansätze verfolgt werden, oft gilt es eine Bereicherung für den Ort durch einen wohltuenden Kontrast für eine begrenzte Zeit zu finden. Aber auch die solchen Strukturen innewohnende ingenieurmäßige Effizienz überzeugt oftmals durch ein hohes Maß an Minimalismus hinsichtlich des Materialeinsatzes, des Ressourcenverbrauchs und einer Wiederverwendbarkeit. Durchaus aktuelle Ansprüche, denn auch „permanente“ Gebäude unterliegen häufig einer viel kürzeren Nutzung als zunächst erhofft – Wandelbarkeit ist ein universelles Thema.

Heshmati Meeß-Olsohn. LICHTROUTEN Luedenscheid 2010. Foto Claus Langer (3)
Heshmati Meeß-Olsohn. LICHTROUTEN Luedenscheid 2010. Foto Claus Langer (2)
Lichtrouten 2010
mit Ali Heshmati. LICHTROUTEN Lüdenscheid 2010. Fotos: Claus Langer.

Was ist dir an deinen Arbeiten wichtig?

Meine Arbeiten sind räumliche Installationen und erst mit der 3. Dimension gewinnen sie ihren Reiz – ob begehbar oder nur von außen in unterschiedlichen Perspektiven zu erleben. Die Installationen bestehen üblicherweise nur aus wenigen verschiedenen Materialien, die aber sauber konstruiert miteinander verbunden werden. So hat das Nahtbild für mich einen besonderen Reiz, eine Atlas-Bindung im Durchlicht, der „textile Griff“ hochwertiger Gewebe oder der Klang eines vorgespannten Stahlseils, wenn der Finger zur Kontrolle der Vorspannung dagegen schnippt …

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IMPULS Lichtkunstbühne Bochum 2011. Fotos: Lars Meeß-Olsohn.

Wie arbeitest du? Wie beschreibst du deine künstlerische Praxis?

Die Konzepte beginnen mit Skizzen, die schnell am Modell oder auch digital aufbereitet werden, um die Qualität in der 3. Dimension beurteilen zu können. Die Reduktion auf Strukturen wie Druckstab, Zugseil, mechanisch oder durch Luftdruck gespannte Textilien oder Folien sind nur auf den ersten Blick eine Einschränkung. Denn mit unterschiedlichen Transluzenz- oder Reflexionsgraden, Farben oder dem Einsatz von Licht in all seinen Ausbildungsformen können sehr unterschiedliche Entwürfe konzipiert werden.

„Goldstück“ ist der Titel der Installation, die du zu den GOLDSTÜCKEN bringst. Wie lässt sich die Arbeit, die du für Gelsenkirchen vorbereitest, beschreiben?

Die Installation setzt sich aus dem materiellen Objekt, das Form und Textur bestimmt. Daran orientieren sich die LED-Lichtlinien, mit denen wir ein Lichtspiel programmieren.

Es handelt sich bei „Goldstück“ um einen durch eine Vielzahl an Edelstahlseilen gleicher Länge verspannten Ring mit immerhin 5 m Höhe, der auch auf Distanz über den Springemarkt hinweg wahrgenommen werden kann. Bei näherer Betrachtung tritt die räumliche Tiefe des Ringes an Gewicht; der Seilverlauf erzeugt eine offene Mitte und das Licht spielt mit der Fokussierung und Auflösung.

Tags wird er in seiner filigranen Machart über den Köpfen der Passanten kaum in Erscheinung treten; umso mehr überrascht er in den Abendstunden durch die Lichtintensität, die ihm zumindest zeitweise eine große Präsenz sichert.

Die Reduzierung auf eine klassische geometrische Form, den Kreis, ist sicher kein Zufall. Hast du eine Art Begründung dafür?

Der Kreis als reine Grundform bietet für mich einen perfekten Kontrast zu den geraden Seilen oder Stützen, eine Perspektive transformiert ihn in eine Ellipse; und auch die am Rand einer Membrane oder als Grat zwischen Membranflächen gespannte Seile nehmen – je nach Perspektive – verschiedene Krümmungen ein.

Die tangentiale Anordnung der Seile generiert beim „Goldstück“ eine zentrale Öffnung, zumal der Ring eine gewisse Tiefe hat. Die Lichtleisten folgen dieser räumlichen Komponente, bilden eine Art „Ereignishorizont“ wie bei anderen Arbeiten zuvor. Dieser Aspekt wiederum ermöglich im Zusammenhang mit der Programmierung der LED Linien durch Matthias Boeser gestalterisch spannende Möglichkeiten.

Wie bringst du die analoge Arbeit an dem Objekt und die digitale Dimension zusammen? Erst das Objekt und dann die Programmierung des Lichts?

Richtig. Aus dem Objekt, dem geometrischen Spiel, entwickelt sich das Licht als Erweiterung in der Wahrnehmung. Die Lichtwechsel und Farbvariationen sind in diesem Falle grundsätzlich harmonisch; phasenweise übersteuert das Licht durch die dem Licht eigenen Dynamiken.

In der Installation sind Farbe und Licht miteinander gekoppelt, d. h. alle Farbeindrücke werden durch Licht erzeugt. Warum hast du dich dafür entschieden?

Das Spiel mit Licht, Farbe und Dynamik wird vor Ort programmiert. Die Idee ist, dass wir und mit dem gewählten Farbraum der Lichtinstallation, also vorwiegend aus dem warmen Spektrum, auf den Titel des Ausstellungsprojektes GOLDSTÜCKE beziehen, aber mal sehen, … manchmal ändern sich unsere Vorstellungen auch noch, wenn wir am Ort sind und einrichten …

Die Installation ist sehr groß, was sind die Voraussetzungen, damit deine Arbeit aufgebaut werden kann?

An gleicher Stelle wird jährlich ein großer Weihnachtsbaum aufgestellt und daher eignen sich die vorhandenen Abspannpunkte für die Standsicherheit – aufgrund der nur linienförmigen Elemente sind die Windlasten jedoch überschaubar und das Einheben der vormontierten Einheit per Kran auf das Dach ermöglich eine sichere Montage.

Du wirst deine Arbeit am Springe-Markt über dem Eingang der Sparkasse aufbauen. Was gefällt dir an dem Ort?

Tatsächlich ist der Ort tagsüber ständig in Bewegung, Autos, Passanten, Lieferverkehr – prägen die Wahrnehmung. Abends kann nun auch ein Moment des Verweilens erzeugt werden, Wolf Codera komponiert noch ein Soundscape, das die Besucher einlädt, stehen zu bleiben.

Die Einbindung der einzelnen GOLDSTÜCKE-Standorte ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzeptes und der Wahrnehmung des Stadtraumes mithilfe des Parcours. Unsere Arbeit liegt in Sichtweite des Goldpbergparks und des Rathauses und bildet eine Art Schleuse zum Robinienhof, zu St. Urbanus, und zur Ophofstraße.

„Texturen der Stadt“ ist das Thema der GOLDSTÜCKE in diesem Jahr. Dazu habe ich Künstler_innen eingeladen, die analoge und digitale Bildgebungsparameter verschränken, um Stadtansichten und Interpretationsgewohnheiten zu verändern. Wie siehst du deine Arbeit in diesem Zusammenhang?

Der Springemarkt wird temporär durch Licht- und Farbwechsel eine neue Prägung erhalten, wir verändern die Textur des Ortes,… seine Erscheinungsform, die sinnliche Wahrnehmung, die Art und Weise, wie sich die Besucher am Springe-Markt bewegen … Und: Texturen sind doch immer Ausdruck von sichtbaren und unsichtbaren Wirkkräften, vielleicht sind wir mit dem GOLDSTÜCK das Beispiel, wie Textur entsteht und sichtbar werden kann?

Welche Rolle spielt das Publikum für dein Projekt? Was wünscht du dir von den Besucher_innen?

Das Objekt möchte wahrgenommen werden durch die Besucher und neben der „Gravitation“ aufgrund der weithin sichtbaren Lichtimpulse sorgt eine akustische Interpretation dafür, dass man sich noch stärker auf das „Goldstück“ einlassen und auch verweilen kann. Nicht zuletzt dadurch möge es zu einer Perle in der Kette von spannenden Installationen durch Gelsenkirchen-Buer werden.

Welche der anderen künstlerischen Positionen der GOLDSTÜCKE empfiehlst du den Besucher_innen und warum?

Diese Frage würde ich gerne nach Eröffnung beantworten …

BEITRAGSBILD

IMPULS Lichtkunstbühne Bochum 2011. Foto: Lars Meeß-Olsohn.